Wolfgang Stöcker: Horngötter und andere Zeichnungen

Wolfgang Stöcker: Horngötter und andere Zeichnungen
Wolfgang Stöcker: Horngötter und andere Zeichnungen

27.04. – 01.06.2007
Horngötter und andere Zeichnungen
Wolfgang Stöcker, Köln

Rund zwei Jahre nach der Ausstellung „Landzeichen. Bilder in Öl“ zeigt die Artgalerie Siegen nun weitere Arbeiten des Kölner Künstlers Wolfgang Stöcker. Diesmal unter dem fremdartig anmutenden Titel „Horngötter und andere Zeichnungen“.
Wolfgang Stöcker , der 1969 in Bergisch Gladbach geboren wurde, studierte zwischen 1992 und 1998 Kunst und Geschichte an der Universität Köln. Nach einem Stipendium für einen Atelieraufenthalt in Lioux (Provence) reiste er 2001-2003 nach Mexiko. Stöckers Präsentationen neigen zu Wortverbindungen: Nach „Durchblicke“ (1998), „Erdpunkte“ (2000) und „Bienentürme“ (2001) nun also „Horngötter“.
Tatsächlich sind Horngötter aber keine rein phantastischen Wesen, wie der Namen vermuten ließe, sondern gehören zum indianischen Kulturglauben. Dort werden sie unter dem Namen Kachinas als Regenbringer und damit als Fruchtbarkeitsgötter verehrt. Dem indianischen Glauben nach handelt es sich bei Horngöttern um Wesen aus prähistorischer Zeit, die durch entsprechend maskierte, tanzende Männer wieder zum Leben erweckt werden. Tatsächlich würden die Männer zu den Göttern, die sie während des Tanzes repräsentieren. Nach „Chapalango. Let´s dance“ nun also tanzende Horngötter in der Artgalerie Siegen.
Im Unterschied zur Stöckerausstellung vor zwei Jahren werden anstelle von Gemälden Stöckers zeichnerische Werke gezeigt. Dies geschieht nicht rein zufällig: Stöcker selbst vernachlässigt die Malerei in der letzten Zeit, ist der Meinung, er habe sich im wahrsten Sinne des Wortes „herausgemalt“. Anstelle von großflächigen Gemälden jetzt kleinformatige Zeichnungen. Dazu Stöcker: „Lässt man sich auf die keinen Bildformate ein, fokussiert man den Blick auf sie, dann können sie gerade wegen ihrer geringen Größe sinnlich wachsen.“ Auch tragen die Exponate nicht, wie gehabt, metaphorische Titel, sondern sind bis auf zwei (Mädchen, Cäsar) titellos nackt. Der Blick des Betrachters soll frei auf die Zeichnung fallen und durch keinen Titel zu einer bestimmten Interpretation gelenkt werden.
Die Ausstellung konzentriert sich auf die figürlichen Zeichnungen Stöckers. Gezeigt werden neben Horngöttern menschliche Köpfe aller Altersklassen und Totenköpfe.
Stöckers Horngötter erscheinen als eine Symbiose von Pflanzlichem und Figürlichem. In einem auf den ersten Blick pflanzlichem, vielleicht baumähnlichem Wesen versteckt sich ein Kopf mit Hörnen. Diese Hörner gewinnen von Zeichnung zu Zeichnung an Größe und Gestalt. Die zunächst als Wurzeln wahrgenommenen Striche verwandeln sich zu Füßen, Baumäste werden zu Hörnern und umgekehrt. Der wilde, kräftige Zeichenstrich unterstreicht dabei den teuflischen Ausdruck, den die Gesichter annehmen. Die Bewegung, die durch die tanzenden Wesen entsteht, wird durch den Zeichenstrich noch verstärkt. Das unruhige Sujet und die unruhige Umsetzung übertragen sich dabei unmittelbar auf den Blick des Betrachters, der an einem Punkt länger, am anderen kürzer verweilt. Die Zeichnungen erhalten ein Eigenleben, beginnen innerlich zu vibrieren.
So phantastisch wie die Hörnergötter muten auch die Kindergesichter Stöckers an. Teils wirken sie, als seien sie aus einer Märchengeschichte entsprungen, teils tragen sie fremdartig asiatische Züge. Aus einem chinesischen Kinderkopf beispielsweise entwickelt sich nach und nach zunächst ein kreisrundes, wie von Kinderhänden selbst gezeichnetes Mondgesicht, dann eine vom Alter geprägte, nur noch durch einzelne Striche angedeutete Mimik.
Erwachsene Gestalten wirken vor allem durch ihre Kleidung wie aus einer fremdartigen Epoche. Könige mit Mänteln und Umhängen, genauso wie Clowns und Hofnarren. Die Bandbreite zwischen tief verschatteten Köpfen bis hin zu vampirähnlicher Gesichtsblässe, die wieder die Nähe zwischen Glauben und Fantasievorstellungen, zwischen Wirklichkeit und Schein verdeutlichen, zeigen Stöckers technische Virtuosität. Zuletzt stehen riesige Köpfe wie Felsklötze in der Landschaft.
Die vom Alter geprägten Köpfe sind die ausdrucksstärksten der Ausstellung. Sie unterscheiden sich nicht nur durch ihre Größe von den anderen Zeichnungen, sondern auch durch die hellgelbliche Farbhinterlegung, die den Gesichtern eine „ungesunde“ Gesichtsfarbe verleiht. Soll hier schon der kommende Tod, der in den zu grellen Gelbtönen gesteigerten Totenköpfen zum Ausdruck kommt, angedeutet werden? Jedenfalls erfüllen auch diese Köpfe durch ihren schauderhaften Anblick die Intention von Horngöttern, die dem heidnischen Glauben nach auch Angst machen sollen.
Neben den reinen Zeichnungen werden auch farblich hinterlegte Exponate gezeigt. Die farblich hinterlegten Kleinformate beschränken sich auf die Farben rot und blau. Rote Gesichter werden blau hinterlegt und umgekehrt. Der eindrucksvollste Kopf unter ihnen ist sicherlich Cäsar, der als dickköpfiges, hässliches Wesen mit spitzen, teuflisch anmutenden Ohren dargestellt wird.
Insgesamt betrachtet muten Stöckers Zeichnungen auf räumlicher wie auf zeitlicher Ebene fremdartig an. Dies ist durchaus geschichtlich tradiert: Horngötter werden seit der Antike verehrt und gehören einem vorchristlichen Glauben an. Auf den heutigen Betrachter wirken die tanzenden Wesen häufig teufelähnlich. Dies hängt mit der Entstehung des christlichen Glaubens zusammen, der Horngötter als teuflisch charakterisierte.
Die Ausstellung „Horngötter und andere Zeichnungen“ regt so nicht nur die Phantasie des Betrachters an, sondern lässt auch alte Kulturen wiederaufleben. Nicht zuletzt in der farblichen Reduktion kommt damit Stöckers Wille zur „puren Kunst“ ohne Titel zum Ausdruck.
Mareen Welters