Andrés Wertheim – Die Museumsgeister im Museum

Die Art Galerie Siegen präsentiert ab dem 13. September 2020:
Andrés Wertheim:Los Espíritus del Museo (Die Museumsgeister)
Vernissage: Sonntag, den 13. September 2020, um 11 Uhr

Art Galerie, Fürst-Johann-Moritz-Str. 1, 57072 Siegen

Die Museumsgeister von Andres Wertheim: Paris #3, 2014, 70 x 100, Museum Archival Print auf Hahnemühle Cotton Paper, 1/5 + 2 A/P (The Happiness of the Regency, Peter Paul Rubens, 1622-1625, Musée du Louvre, Paris)

„Wie kann man mit einer Kamera das erfassen, was nichts Fotografisches an sich hat – den komplexen Dialog zwischen visueller Wahrnehmung und menschlicher Phantasie?“ (vgl. von Alasdair Foster verfassten Essay auf S.17 in dem Buch „Los Espíritus del Museo“ von Andrés Wertheim).

Die Museumsgeister im Museum von Andrés Wertheim

Mit dieser speziellen Aufgabe beschäftigte sich der Fotokünstler Andrés Wertheim. Das oben abgebildete Werk „Paris“, im Jahr 2014 von Wertheim abgelichtet, ist eine Fotografie des Gemäldes „Die glückliche Regierung“ von dem gebürtigen Siegener Peter Paul Rubens (1577–1640) und bildet das Herzstück der fantastischen Ausstellung. Neben einigen Fotografien aus seiner Heimatstadt Buenos Aires werden in der Ausstellung auch mehrere europäische Bilder präsentiert.Andrés Wertheim erkundet in seiner Arbeit die verschiedenen Ebenen der sichtbaren Wirklichkeit.In seinen Dokumentationen zeichnet er das, was vor unseren Augen liegt, auf, wohlwissend aber, dass der Begriff der Wahrhaftigkeit in der Fotografie Zweifel mit sich bringt: Lügt die Kamera niemals oder ist sie nur ein Gerät, das das Vorhandene erfasst und einfach versucht, es zu imitieren? 

Als Folge dessen, spricht er in seinen konzeptionellen Bilderreihen diese Mehrdeutigkeit an.Er projiziert Dias auf Gesichter und Körper, um in die Persönlichkeit des Dargestellten zu tauchen. Er klont architektonische Räume und verwandelt sie in unmögliche Konstruktionen, die die Entfremdung des Menschen von der Welt in Frage stellen. Durch Doppelbelichtungen verschmelzt er leblose Darsteller mit Museumsbesuchern und macht uns auf unsere Beziehung zur Kunst aufmerksam.

Wertheim verwendet das photographische Dokument um Bilder zu erzeugen, die mit den Sinnen des Betrachters spielen, und versucht dabei die Türen unserer Wahrnehmung zu öffnen.Andrés Wertheim wurde 1962 in Buenos Aires geboren und begann im Alter von 22 Jahren ein leidenschaftliches Interesse an der Fotografie zu entwickeln. Zu dieser Zeit traf er auf Horacio Coppola, welcher am Bauhaus studierte und ihm ein Mentor wurde. Bald darauf zog Wertheim nach Deutschland und reiste rund um den Globus, nahm an Kursen und Workshops teil und dokumentierte mit seiner Kamera entfernte Orte und ihre Bewohner – immer bemüht, magische Momente zu finden.

Durch das Sammeln von 30 Jahren Erfahrung aus Aufträgen und persönlichen Arbeiten konnte Wertheim Fähigkeiten entwickeln, die ihn motivierten, seine Werke international zu veröffentlichen.In letzter Zeit weisen einige seiner Serien eine bemerkenswerte Wendung auf: die Bilder werden konzeptioneller. Einige seiner Werke befinden sich in öffentlichen und privaten Sammlungen. Der Fotokünstler hat in vielen Ländern in Museen, Messen und Galerien, wie der Kunstmesse Buenos Aires Photo, in der Blue Sky Gallery in Portland (USA), in der Photo Visa 2014 in Krasnador, Russland und in dem Museum Museo Municipal de Bellas Artes Juan B. Castagnino in Rosario, Argentinien, ausgestellt und jetzt präsentiert er seine Werke auch in der Art Galerie Siegen.

Andrés Wertheim:Los Espíritus del Museo (Die Museumsgeister)
13. September bis 07. November 2020
Vernissage: Sonntag, 13. September 2020, 11 Uhr

Art Galerie, Fürst-Johann-Moritz-Str. 1, 57072 Siegen Andres Wertheim in der Art Galerie

Die Museumsgeister: Eröffnungsrednerin Kirsten Schwarz und Galeristin Helga Kellner

Zur Vernissage Die Museumsgeister im Museum von Andres Wertehiem am Sonntag, 13. September 2020, 11 Uhr sprach Kirsten Schwarz und beruhigt die Besucher:

Wer hat es nicht schon erlebt? Beim Betrachten eines Gemäldes im Museum bemerkt man sich selbst auf der schützenden Glasscheibe. Ein unangenehmer Moment, will man doch das Geschehen im Bild betrachten, nicht das eigene Spiegelbild. Die eigene transparente Erscheinung irritiert. Mit den Fotografien Andrés Wertheims geht es einem ähnlich. Geisterhafte Wesen gleiten durch die Bilder, scheinbar in Interaktion mit den Besucher*innen, die sich ihrer Gegenwart gar nicht bewusst sind. Interessiert wird da Menschen über die Schulter geschaut, sie werden umtanzt, geneckt, bestaunt, teilweise aber auch, obwohl mitten Geschehen stehend, einfach ignoriert. Oft kommen uns die Szenen bekannt vor: Ist das nicht ‚das Goldene Zeitalter‘ von Cranach, ein Selbstbildnis von Beckmann oder ein Rubens?

Meist sind nur Ausschnitte zu sehen, verwoben mit einem Kontext, der vage vertraut erscheint. Andrés Wertheim zeigt uns seine Museumsgeister. Er erweckt bekannte Werke der Kunstgeschichte und vor allem ihre Protagonisten zu neuem Leben, indem er sie mitten in unsere Gegenwart stellt. Was wäre, wenn uns die Porträtierten, die eingefroren seit Jahrhunderten in ihren Posen verharren im Museum sehen könnten? fragt Wertheim. Zugleich fasziniert ihn der Umgang der Besucher*innen mit den Bildern im Museum. Zwischen ehrfürchtig-bewundernd und gleichgültig-ablehnend zeigen sich alle möglichen Reaktionen. Bilder werden nur durch Handys betrachtet oder – noch schlimmer – als Kulisse für Selfies genutzt. All dies beobachtet Andrés Wertheim während er stundenlang in Museen ausharrt, bis ihm die perfekte Kombination gelingt, denn die scheinbare Fixierung spukender Geister des Museums entpuppt sich in der Realität als Effekt der Doppelbelichtung.

2012 besuchte der Fotograf das Rijksmuseum Amsterdam und war erstaunt über den Run auf Rembrandts Nachtwache, wobei die meisten Besucher*innen die übrigen Bilder einfach übersahen. Er wollte den vielen verschmähten Gemälden Genugtuung verschaffen und fotografierte ein nebenhängendes Werk, dabei kam ihm die Idee, die Funktion der Doppelbelichtung an seiner Kamera zu nutzen und ein zweites Foto, diesmal der Besuchergruppe, zu machen. Das Ergebnis der Überlagerung auf dem Monitor der Kamera faszinierte und begeisterte ihn so sehr, dass er beschloss, weitere Fotografien der ‚Museums-Geister‘ anzufertigen. Während der folgenden vielen Museumsbesuche wurde sein Blick für die passende Kombination immer routinierter, die Schritte, Blicke und Posen der Besucher*innen ordnet er blitzschnell dem passenden Gemälde im selben Raum zu. ‚Ich muss konzentriert und präzise arbeiten, sagt Wertheim, sonst ist der Moment vorbei,‘ sagt Wertheim. Dabei variiert die Reihenfolge der beiden Fotografien: ob erst die Museumssituation oder erst ein bestimmtes Gemälde abgelichtet wird, bleibt seine spontane Entscheidung.

Die Doppelbelichtung ist jedoch der einzige und entscheidende technische Effekt, den Andrés Wertheim nutzt. die Bilder werden teilweise noch etwas aufgehellt und farbig akzentuiert, die verwobenen Motive aber später nicht digital bearbeitet. Die effektvolle Doppelbelichtung bezeichnet der Künstler als ein Werkzeug, mit dem er in verschiedenen optischen Dimensionen der Motive experimentiert. Vergangenheit und Gegenwart treffen selten so geballt aufeinander wie im Museum. Vergangenes wird bestaunt und mit der Gegenwart verglichen. In den Werken Wertheims weist die Zusammenführung der transparenten Erscheinungen mit den lebendigen Betrachter*innen auf die Bedeutung, die vergangene Kultur auf unserer Gegenwart hat. Die Bilder wirken in ihren Überlagerungen wie Palimpseste, sie offenbaren, wie gegenwärtig die Figuren der Kunstgeschichte heute noch sind.

Der Mensch ändert sich nicht, nur die Zeiten, und wie Zeitreisende schweben die Figuren durch ihre letzte Ruhestätte, das Museum. Wertheim möchte jedoch nicht nur auf das konkrete Gemälde und dessen Korrelation zur Gegenwart aufmerksam machen, sondern auch an die Bedeutung des Museums allgemein als Ort des kulturellen Gedächtnisses erinnern. Besonders beschäftigt ihn der Gedanke, dass die Gemälde uns zwar einen Eindruck vergangener Zeiten und Vorstellungen geben können, aber zugleich auf der Imagination und subjektiven Sicht des damaligen Künstlers beruhen. So sehen wir die Vergangenheit immer nur durch die Augen der jeweiligen Zeitgenossen. Es ist ihre Wahrnehmung, durch die wir diese Welten wahrnehmen. Andrés Wertheim zeigt uns eine eindrückliche Gleichzeitigkeit, die zugleich fasziniert und irritiert.

Wenn Fabelwesen im Museum Besucher*innen verschlingen oder diese mit am Tisch einer porträtierten Familie sitzen, kommt uns die Vergangenheit so nah wie sonst nie. Sicher kann uns heute die virtual reality in andere Zeiten versetzen, doch ob sie dies auf so kreative und prägnante Weise erreichen wird, sei dahingestellt, da fehlt die Kraft der Imagination. Zum anderen stellen Wertheims Fotografien Fragen an die Wahrnehmung selbst. Was sehen wir eigentlich, wenn wir uns auf einen Gegenstand fokussieren, was entgeht uns, wie interagieren wir mit den Bildern im Museum? Andrés Wertheim wurde als Sohn deutscher Eltern 1962 in Buenos Aires geboren, er interessierte sich schon früh für Fotografie, wurde aber erst auf Umwegen professioneller Fotograf. Er besuchte Kurse des Bauhaus-Schülers Horacio Coppola, einem der bekanntesten Fotografen Argentiniens. Später reiste er als Flugbegleiter durch die Welt und erhielt so die Möglichkeit weltweit zu fotografieren. Seit 2009 arbeitet er ausschließlich als freier Fotograf.

Er selbst sagt über seine ‚Museums-Geister‘: ‚Durch diese unerwarteten Geschichten möchte ich die Betrachter*innen mitnehmen auf eine Fantasie-Reise, eine traumähnliche Dimension, in der  Vergangenheit und Gegenwart ineinandergreifen und sie zur selben Zeit einladen, ihre eigene Beziehung zum Museum als kulturelle Institution und als Ort der Zerstreuung zu überdenken.‘ Und abschließend: ‚Wenn die Charaktere in der Fotografie miteinander harmonieren, fühle ich, dass die Geister des Museums mir geholfen haben.‘

Kirsten Schwarz, M.A.

Andres Wertheim war auch in der Ausstellung Alternative Realities von Thomas Kellner vertreten