Ingo Schultze-Schnabl: Viel Vergnügen

Ausstellung von Ingo Schultze-Schnabl mit dem Titel Viel Vergnügen in der Art Galerie

Ingo Schultze-Schnabl
#1634 ohne Titel, 50 x 70 cm, Acryl auf Karton, 2024

Ingo Schultze-Schnabl: Viel Vergnügen

Wir laden Sie herzlich ein zur Ausstellung

Ingo Schultze-Schnabl
Viel Vergnügen 
2. Februar bis 29. März 2025

Chiara Manon Bohn, Ingo Schultze-Schnabl und Helga Kellner

Vom 2. Februar bis zum 29. März 2025 zeigt der Neunkirchener Künstler aktuelle Werke in der Siegener Art Galerie. Viel Vergnügen, wie der Ausstellungstitel lautet, kann die Präsentation in der Tat bereiten, zeigt sich doch die große Palette an Gestaltungsmöglichkeiten, die der Künstler mit der markanten Handschrift in seinen mehrteiligen Werken gefunden und entwickelt hat.   

Spazierengehen kann man mit den Augen in den mal hell und leicht, mal still und geheimnisvoll wirkenden Bildern. Grüne, vom Licht durchflutete Landschaftsräume stehen neben von schroffem Gestein geprägten Situationen. Gemeinsam haben sie die für den Künstler typische Aufteilung auf mehrere Bildflächen, oft drei, inzwischen auch mal wieder deutlich mehr.   

Sie bringen den Blick und die Gedanken des Betrachters in Bewegung. Differenzierte Farben aus der Nähe, ganzheitliches Erfassen aus der Distanz – die Kunst macht etwas mit uns. Der Prozess des Betrachtens wird erfahrbar und ist auch ein wesentlicher Aspekt der Arbeit von Schultze-Schnabl. Was ist das da vor mir? Ist dies ein Ding oder nur ein Farbfleck? Wie entsteht Bedeutung von der Pinselspur ausgelöst im Kopf des Betrachters?   

Immer wieder stellen sich Fragen beim Betrachten, lösen neues Schauen aus und halten unsere Blicke in den gezeigten Arbeiten. So entsteht viel Vergnügen beim Sehen und Nachdenken.  

Ingo Schultze-Schnabl, geboren 1953, studierte die Fächer Kunst und Englisch an der Universität Siegen und hat bis 2016 Kunst an einem Siegener Gymnasium unterrichtet. Seit 1990 hat er seine Kunst in zahlreichen Einzelausstellungen auch überregional präsentiert und ist Mitglied in der ASK und im BBK Westfalen.  

Ingo Schultze-Schnabl
Viel Vergnügen 
2. Februar bis 29. März 2025
Vernissage: Sonntag 2. Februar 2025, um 11.00 Uhr
Zur Eröffnung sprach Chiara Manon Bohn

Dialogische Kunstvermittlung ist zum festen Bestandteil von Museumsarbeit geworden. Weg von frontaler und einseitiger Wissensvermittlung sowie gesetzten Auslegungen künstlerischer Arbeiten – hin zu einem offenen und lebendigen Gespräch, einer aktiven Mitgestaltung des Vermittlungsprozesses durch die Besuchenden. Dieses Format wechselt von einer fremdbestimmten zu einer eigenverantwortlichen Führung, macht die Ausstellung zu einem Ort sozialer Interaktion und Begegnung. Begegnung mit anderen Besuchenden, den Kunstwerken und sich selbst. Antje Lielich-Wolf und Gundula Avenarius beschreiben ein Bedürfnis, bei dem Besuchende „in den Erkenntnisprozess einer Bildbetrachtung einbezogen und in ihrem eigenen Erleben und Empfinden wahr und ernst genommen werden [wollen]. Sie wollen sich mit Ihren Kompetenzen in den Prozess einbringen und das Erlebte an ihr Wissen anschließen. Sie wollen partizipieren und aktiv teilnehmen und nicht nur passiv konsumieren.“ Das Betrachten von Kunst wird hier zu einer ganzheitlichen Erfahrung, einem Akt der Reflexion und einer Erweiterung des Geistes um neue Eindrücke, Emotionen, Sicht- und Sehweisen.

Aber auch in Zwiesprache mit Kunst entsteht ein Austausch. So sagte bereits der Kurator Hans Ulrich Obrist: „Das Betrachten von Kunst ist wie eine Unterhaltung. Hat das Gegenüber etwas Interessantes zu sagen, höre ich länger zu, frage öfter nach. Je mehr mir ein Werk bieten kann, desto länger verweile ich davor, desto mehr Raum nimmt es in mir ein und füllt den Raum um mich herum. Aber zu einer Unterhaltung gehören eben immer zwei. Eine gewisse Neugier muss man auch selbst mitbringen, verbunden mit der Bereitschaft, sich überraschen zu lassen. Es ist ein Geben und Nehmen.“

Kunst begegnet jedem anders. Mal provozierend, mal erheiternd, mal erschütternd, mal beruhigend, mal Trost spendend. Gerade zeitgenössische Kunst ist oft undogmatisch, hin und wieder sperrig und für so manche Person schwer zu fassen. Gerade dann macht es Sinn den offenen Diskurs zu wagen oder im Selbstversuch die Kunst zu befragen.

Mit dieser Ausstellung geht ein Handlungsanweisung einher, die uns über den Ausstellungstitel erreicht. Der Wortlaut ‚Viel Vergnügen‘ richtet sich an jeden einzelnen und jede einzelne im Raum, fordert dazu auf den Ausstellungsbesuch zu einer durchaus positiven Erfahrung zu machen. Machen – nicht werden lassen – denn die Ausstellung zielt bewusst auf das aktive Seherlebnis der Besuchenden ab. Es ist nicht das erste Mal, dass sich Ingo Schultze-Schnabl mit dem Ausstellungstitel auf den Rezeptionsprozess seiner Arbeiten bezieht. 2022 wies er mit der Ausstellung „Sinn machen“ auf das aktive Erkennen-wollen, Erschließen und Interpretieren von Kunst hin und konfrontierte Besuchende mit der indirekten Aufgabe eine persönliche Antwort auf die Frage nach dem Sinn seiner Arbeiten zu finden oder aber die Sinnhaftigkeit seiner Motive, wenn nicht sogar des Ausstellungstitels selbst in Frage zu stellen. Es ist eine Besonderheit, wenn der Künstler direkt an sein Publikum herantritt und bereits vor Betreten des Ausstellungsraums mit den Besuchenden in Dialog tritt. Mit dem Wunsch, dem Versprechen, der Aufforderung ‚Viel Vergnügen‘ zieht er uns in die Räumlichkeiten und inmitten seiner Werke. Eine Einladung, die man nicht ausschlagen kann.

In dieser Ausstellung stehen das subjektive Erfahren und die subjektive Bedeutung im Mittelpunkt. Nicht ohne Grund bleiben die Arbeiten von Schultze-Schnabl motivisch vage und oszillieren zwischen Abstraktion und scheinbarer Gegenständlichkeit. Was Betrachtende meinen zu erkennen, bleibt Ihnen überlassen. Die Offenheit des Künstlers bezüglich der Lesart seiner Arbeiten und die damit einhergehende Abgabe der Deutungshoheit zeigt sich auch in den zumeist fehlenden Werktiteln. Für ihn ist ohnehin nicht das Motiv entscheidend. Vielmehr stehen das Material, die Farben, der Pinselduktus im Fokus – ein Kunstwerk soll das sein, was ist: nämlich Malerei. Aus dieser Perspektive erscheint es einfach Formen und Lichtsituationen nicht als räumlich oder gegenständlich zu deuten, sondern als Farbtöne und sich auflösende Flächen. Mit seinen Arbeiten macht Schultze-Schnabl Angebote, die allerdings kein Versprechen auf Gegenständlichkeit darstellen. Er liefert keine Lösungen, sondern schickt die Betrachtenden auf ihre eigene Assoziationsreise. Es heißt also hinsehen, wahrnehmen, erkennen – in Zwiesprache mit den Arbeiten zu gehen und herauszufinden welche Bedeutung sich für einen Selbst hinter den Malereien verbirgt.

In einem Essay unter dem Stichwort ‚Warum brauchen wir Kunst?‘ bringt die Kuratorin Ann Demeester 2024 auch Überlegungen des Künstlers David Hockney an – den Schultze-Schnabel passender Weise zu seinen künstlerischen Vorbildern zählt und der auch Gegenstand des zu Beginn angeführten Textes von Hans Ulrich Obrist war. Nach Demeester „hält [Hockney] das Betrachten für eine Fähigkeit, die alle Menschen von Natur aus besitzen, die wir aber viel zu selten bis gar nicht bewusst ausüben. Wir sehen etwas, doch wir schauen oft nicht wirklich hin.“ An dieser Stelle übernehmen die Kunst oder mehr noch die Museen und Ausstellungen die Funktion eines Hilfsmittels, an denen wir unser Sehen schulen können. Gleichzeitig ist es auch Hockney der sagt, dass jedes Bild eine Interpretation des Sehens ist. Die Rezeption eines Werks ist folglich ein sinnlicher Wahrnehmungsprozess, der visuelle Angebote mit geistigen Zuschreibungen und Assoziationen verbindet. Passend dazu fragt Schultze-Schnabl auf seiner Website: ‚Wie deutet unser Kopf, was er sieht?‘ Ganz in der Manier dialogischer Kunstvermittlung spricht er die Leser*innen auch über dieses Medium direkt an und vermittelt zugleich, was ihn künstlerisch interessiert: Die Wahrnehmung eines Bildes und die Entstehung von Bedeutung.

Einmal mehr wird deutlich, warum die Arbeiten des Künstlers so angelegt sind, wie sie angelegt sind. Schon beim Malprozess folgt er einem assoziativen Gestaltungsprinzip, das auf ein Gleichgewicht innerhalb der Werke ausgerichtet ist. Komposition und Farbskala legt er im Vorfeld an, versucht Lichtsituationen ins Bild einzuschreiben, ohne zu sehr in die Gegenständlichkeit abzurutschen, und mit dem Farbauftrag Bewegungspuren zu legen. Er selbst nennt es einen ‚Gestaltungsdialog‘, wenn bemalte Flächen untereinander austariert werden und mit den weißen Leerstellen auf dem Papier oder den Lücken zwischen den Leinwänden in Beziehung treten. Ein künstlerischer Prozess ist auch immer ein dialogischer Prozess zwischen Kunstschaffendem und Malgrund. Schultze-Schnabl nimmt darüber hinaus aber auch die Rolle eines Mediators ein und vermittelt als solcher mit seiner Malbewegung zwischen den Bildelementen, um seinem angestrebten Gleichgewicht zu entsprechen. Ein besonderes Moment seiner Arbeiten – auch für die Rezeption – liegt in den Abständen zwischen den Bildbahnen oder umrandeten Bildfeldern. Sie sind Leerstellen, Zwischenräume und Pausen. Sie überbrücken, bieten dem Auge Erholung und schärfen den Blick für ungewohnte Seherfahrungen – ganz im Sinne Hockneys Aufforderung ein aktives Sehen zu trainieren. Schultze-Schnabels Arbeiten lösen sich durch diese bewusst gesetzten Auslassungen von der klassischen Wahrnehmung von Malerei. Mal müssen sich Betrachtende weiter von dem Werk wegbewegen oder sich drehen, um alle Bildteile erfassen zu können. Mal sind die äußeren Farbfelder auf den Papierarbeiten angeschnitten und suggerieren eine fortlaufende Sequenz, die gedanklich ergänzt werden muss. Dabei spielt der Künstler nicht nur mit seinem künstlerischen Material, sondern auch mit uns Betrachtenden. Konfrontiert mit neuen Sehgewohnheiten gilt es die assoziativ-dialogisch und interaktiv angelegten Arbeiten Stück für Stück zu er- und verarbeiten.

Während sich doch allzu häufig bei der Wahrnehmung von Kunst auf den Sehsinn konzentriert wird, – auch dieser Text kann sich davon nicht freisprechen – verwendet Ann Demeester in besagtem Essay zum Nutzen von Kunst den Begriff des Erlebens von Kunst. Ein Wort, das sowohl äußere, als auch innere Wahrnehmungen adressiert. Was wir sehen weckt Erinnerungen und Emotionen, verändert unsere Stimmung und bringt „eine andere Dimension des Denkens und Fühlens […] ins Spiel“ . Gerade an dieser Stelle lohnt sich aus dem Zwiegespräch mit dem Kunstwerk herauszutreten und den Dialog mit anderen Besuchenden zu suchen. Vielleicht sollten wir uns eben nicht nur über Zuschreibungen zum Gesehenen und Erkannten in den abstrakten Arbeiten austauschen – bei dem man sich paradoxer Weise oftmals ohnehin auf Begriffe bezieht, die Gegenstände bezeichnen. Vielmehr scheint es sinnvoll in einer Ausstellung, die sich dem Vergnügen verschreibt, über innere Wahrnehmungen und Gefühlregungen zu sprechen.

So bleibt am Schluss nur zu hoffen, dass der Künstler während des Malprozesses ebenso viel Vergnügen hatte, wie wir es beim Rezipieren haben werden. In diesem Sinne wünsche auch ich Ihnen ein bewusstes Kunst- und Seherlebnis, erkenntnisreiche Dialoge und vor allem viel Vergnügen!

Ingo Schultze-Schnabl

1953 geboren in Hilchenbach
1973–78 Studium Kunst und Englisch
seit 1980 Lehr- und Ausstellungstätigkeit
Mitglied der ASK (Arbeitsgemeinschaft Siegerländer Künstlerinnen und Künstler e.V.) und des bbk
(Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler)

Ausstellungen in Auswahl

2024 Lokaltermin, Römergalerie Kulturbüro, Burbach, (EA)
2024 More than eating, Galerie Grevy, Köln (GA)
2024 Was Land Schafft, Landtag NRW, Düsseldorf (EA)
2023 … alles außer … , Südsauerlandmuseum Attendorn (GA)
2022 Sinn Machen, Thomas Morus Akademie, Bensberg (EA)
2021 Sinn machen, Kunstverein, Offenbach (EA)
2020 Sinn machen, Haus der Ev. Kirche, Bonn (EA)
2018 Objets Cachés, Hagenring-Galerie, Hagen (EA)
2017 nicht lückenlos zu klären, Kunstraum 3, Lengerich (EA)

Publikationen (Auswahl)

2022 Sinn machen, Bergisch-Gladbach
2022 IN: Bis hierhin und weiter. – 100 Jahre ASK, Siegen
2019 In: BBK: Zeitfenster – Auf Kipp, Dortmund