Eine seherische Manifestation der Vernunft, Cortland Lowerison: Morning Raga, Bleistift, Buntstifte und Tinte, 41 x 55 cm
Die Art-Galerie Siegen präsentiert ab dem 04. September 2022 bis zum 05. November 2022 Werke des französischen Künstlers Cortland Lowerison.
Eine seherische Manifestation der Vernunft
Die surreale Welt des Cortland Lowerison: Skurrile Kunst voller Rätsel und Entdeckungen
Die Werke des französischen Künstlers Cortland Lowerison können auf Menschen skurril, verwirrend und surreal wirken. Auf den ersten Blick irritieren sie und bringen uns um den Verstand, denn logisch und zusammengehörend scheint hier zunächst nichts. Erst bei eingehender Betrachtung lösen sich die Fragezeichen im Kopf, werden Gegenstände und Figuren erkennbar, können Verknüpfungen zwischen einzelnen Bildelementen hergestellt werden.
Cortland „Vernunft“: Die Verschmelzung von Kunst und Wissenschaft zu einer neuen Form der Schönheit
Auf Manche wirken Kunst und Wissenschaft wie Gegensätze. Doch für den amerikanischen Künstler Cortland Lowerison sind es nur unterschiedliche Formen, in denen sich das Wissen der Menschheit niederschlägt. Beide erfordern daher Hingabe und Entschlossenheit, visionäres Denken als auch rationale Kritik. Das Zusammenspiel all dieser Teile ist es, was Lowerison dann Schönheit nennt. Somit ist diese Schönheit auch die Zielsetzung seiner künstlerischen Arbeit und das bestimmende Prinzip seiner Vorstellung von Schöpfung. Seine Schöpfungen vereinen dann eine abstrakte wie auch figurative Bildsprache. Geometrische Formen und ethnische Muster treffen daher auf menschliche Silhouetten. Die Illusion von Raumtiefe besteht daher neben der Flächigkeit von bunten Farben. Auf diese Weise heben sich die zweidimensional und dreidimensional gemalten Objekte gegenseitig auf und lassen ein Konglomerat aus Formen und Farben zurück, das der Betrachter schließlich mit seinen eigenen Assoziationen füllen kann. Seine Arbeit lädt Vernunft und Sinne gleichermaßen zur Kontemplation und Meditation ein, weil es surreal ist.
Lowerisons Traumlandschaften: Eine Reise durch Fantasie und Erkenntnis zur Vernunft
Mittels der vielen motivgebenden Bildelemente wird unser Blick durchs Bild geleitet, hin und wieder verharrt er jedoch, wir staunen, fragen, lösen. Lowerison macht daher mit seinen Kunstwerken Räume auf, regt mit seinen Traumlandschaften Fantasiegeschichten an. Kurz gesagt, es gibt immer Neues zu entdecken und zu verarbeiten. Und vielleicht ist es genau das, was Lowerisons Schöpfung ausmacht. Die Leidenschaft, weil es welche gibt, und Entschlossenheit, mit der er uns zum Nachdenken, Hinterfragen und Träumen bringt. Also die Schönheit der Schöpfung, die uns dazu animiert unbeschwert in surrealistische Szenen abzutauchen, nach der Lösung des Motivs zu suchen und die reale Welt ganz und gar zu vergessen.
Seine Kunstwerke der Vernunft
Weitere Bilder von „Eine seherische Manifestation der Vernunft“
Eine seherische Manifestation der Vernunft
04. September 2022 bis 05. November 2022
Vernissage: 04. September 2022, um 11 Uhr
Zur Eröffnung sprach Chiara Manon Bohn
Down the rabbit hole
Chiara Manon Bohn
„Cortland Lowerisons Wunderkammer: Eine faszinierende Reise durch Formen, Farben und Ambivalenzen“
Die Werke von Cortland Lowerison gleichen einer Wunderkammer mit ihren verschiedenen Raritäten und Ordnungssystemen. Es gibt eine Vielzahl an bildgebenden geometrischen und organischen Elementen, die sich über die gesamte Bildfläche verteilen, miteinander in Kontakt treten, Beziehungen knüpfen und dadurch ein Motiv entstehen lassen, das im Ganzen betrachtet sowohl ein vertrautes als auch ein fremdes Gefühl während des Betrachtens hervorruft. Das Zusammenspiel aus Formen und Farben, abstrakten wie figurativen Bildelementen, Flächigkeit und Perspektive erzeugt eine Spannung im Bild. Man meint Figuren und Gegenstände erkennen zu können und nimmt ihre einzelnen Bestandteile aber zeitgleich auch als davon losgelöste Motivelemente wahr. Gerade diese bewusst gestaltete Ambivalenz im Bild erwirkt eine besondere Faszination. Wie in einer Wunderkammer kann immer Neues entdeckt und begutachtet werden, als Einzelobjekte oder in verschiedenen Objektgruppen. Lowerison lädt ein den Kosmos seiner Werke zu betreten.
„Durch das Kaninchenloch: Cortland Lowerisons Traumwelten zwischen Fantasie und Wirklichkeit“
Nach dem Motto ‚down the rabbit hole‘ gelangt der Betrachter durch seine Bilder in eine andere Welt, will im Bild erkunden wohin bestimmte Löcher führen, womit Tassen, Schalen und Vasen gefüllt sind und was sich hinter den kubischen Formen im Bild befindet. ‚Down the rabbit hole‘ meint ein Abschweifen, sich in einem neuen Thema verlieren und in eines hineinfuchsen. Die Bilder des Künstlers nehmen den Betrachter ein und zwingen ihn unbewusst im Bild auf Erkundung zu gehen und mit beinahe kindlicher Naivität das Gesehene zu verarbeiten, zu deuten und zu akzeptieren. Wie in dem bekannten Kinderbuchklassiker ist er dem weißen Hasen in eine unbekannte Welt gefolgt, die von Fantasiewesen und Irrationalität geprägt ist. Eine Traumwelt, die einen neuen Blick auf die Welt, ihre Grundsätze und Beschaffenheit eröffnet und alles auf den Kopf stellt.
„Alice im Wunderland: Sinnbild surrealistischer Traumwelten und moderner Mythen“
Gerade die Surrealisten fanden in Alice im Wunderland eine ideale Repräsentantin für ihre fantastischen Motive. Nicht zuletzt „[reicht] das Deutungsspektrum der Alice-Figur“ nach Christoph Benjamin Schulz „vom unschuldigen Kind über die Assoziation einer Femme fatale (…) bis zu ihrer Interpretation als Konsumentin von bewusstseinserweiternden Rauschmitteln.“[1] Alice und das Wunderland stehen sinnbildlich für die Begegnung mit befremdlichen Realitäten und Traumwelten. Neben den pädagogischen Werten und einem gesellschaftskritischen Kommentar durch die Augen eines Kindes, ist Alice vor allem Teil eines modernen Mythos, weil ihre Geschichte „zwischen Bekanntem und Unbekanntem, respektive zwischen individueller Wahrnehmung und der Deutung und Darstellung von Wissen“[2] schwankt. Alice beobachtet, kommentiert und moderiert.
„Visuelle Bewusstseinserweiterung: Cortland Lowerisons surreale Parallelwelten“
Alice dient Lowerison zwar nicht als Inspirationsquelle und direktes Vorbild, geschweige denn integriert er sie, wie Sigmar Polke bei Alice in Wonderland oder Salvador Dali in den von ihm illustrierten Ausgaben des Buches, in seine Bilder. Dennoch gelangt der Betrachter durch seine Motive in eine Welt, die hin und wieder auf dem Kopf zu stehen scheint und das Gesehene mit Assoziationen füllt und die eigene Fantasie anregt. Die einzelnen Bestandteile und Formen werden zu Pflanzen, Tieren, menschlichen Silhouetten und Landschaften und behalten darüber hinaus ihren surrealistischen und irrationalen Grundtenor bei. Ähnlich wie die Surrealisten und Künstler der 1960er und 1970er Jahre, sucht der Künstler nach Bewusstseinserweiterungen, die in der von ihm geschaffenen Parallelwelt visuell Realität werden.
„Visuelle Bewusstseinserweiterung: Cortland Lowerisons surreale Parallelwelten“
Je länger eines der Bilder betrachtet wird, desto mehr wird erkennbar. Verschiedene geometrische sowie organische Formen und kubische Elemente setzen sich zu Gegenständen und Gesichtern zusammen. Mal wird die Illusion eines Raumes vor Augen geführt, in dessen Mitte sich eine männliche Silhouette zu materialisieren scheint, mal erscheinen kleine und große Gesichter in einem Konglomerat aus nicht zusammengehörenden Formen und ethnischen Mustern oder jenen, die an altgriechische Vasenmalerei erinnern. Zu sehen sind Blumen, Vögel, Menschen, Rechtecke und Kreise, die sowohl als Einzelobjekte im Bild auftauchen als sich auch zu einem geometrischen Muster vereinen. Die dadurch entstandenen Motive sind überraschend, so zeugen sie von der Fantasie des Künstlers und seiner Fähigkeit Formen gedanklich derart zu verbinden und zu kombinieren, dass man meinen reale Objekte und Lebewesen wiederzuerkennen. Der Verstand verknüpft die abgebildeten Strukturen mit bereits Gesehenem und Bekanntem. Irreführend ist aber vor allem das Wechselspiel zwischen Flächigkeit und Perspektive.
„Surreale Dimensionen: Die faszinierende Mehrdeutigkeit in Cortland Lowerisons Kunstwerken“
Während einige Formen gezielt perspektivisch dargestellt werden und von mindestens zwei Seiten im Bild betrachtet werden können oder sich bei manchen Formen zumindest eine farbliche Abstufung zeigt, bleiben andere gänzlich einfarbig und flächig auf dem Bildträger zurück. So schwanken die Motive zwischen den Dimensionen und wirken dadurch noch einmal surrealer, konfuser und wirklichkeitsferner. So meint der Betrachter zunächst das Bild Stück für Stück entschlüsseln zu können, merkt aber bald, dass er einem Trugschluss aufgesessen ist. Zwar kann das Arrangement aus Formen Silhouetten von Menschen und Gegenständen zugeordnet werden, wirklich Klarheit und Kontrolle über das Bild besitzt man allerdings nicht, da die Formen ihre Eigenständigkeit behalten. Die Kunstwerke befinden sich in einem Spannungsverhältnis zwischen dem, was der Künstler malt, und dem, was sich aus dem Gemalten in der Gesamtansicht ergibt.
„Cortland Lowerison und die Neuerfindung des Kompositgemäldes: Eine moderne Hommage an Arcimboldo“
In dieser Hinsicht erinnern die gezeigten Porträts an die Gemälde Arcimboldos. Der Künstler, der in seinen Gemälden einst Köpfe aus Pflanzen, Obst und Gemüse, Fischen und anderen Tierarten zusammenstellte, führte im Bild bekannte Darstellungen aus Flora und Fauna zusammen, „um dann in einem Kompositgemälde wieder zu einer ganz eigenen, neuen Figur zu finden.“[3] Vergleicht man Arcimboldos Werke mit denen von Lowerison, so könnte man behaupten der Künstler habe hier das Prinzip der Kompositgemälde aktualisiert und modernisiert, indem er statt Darstellungen aus Flora und Fauna auf geometrische und abstrakte Formen zurückgreift.
Also auf Bildelemente, die sich erst Anfang des 20. Jahrhunderts als reine Bildgegenstände etablierten und Merkmale Moderner, vor allem aber Abstrakter Kunst sind. Beide Porträtvarianten strotzen vor Detailreichtum und einem ganz und gar irrationalen Motiv. Denn auch wenn man meint einen Kopf zu erkennen, so besteht er bei Arcimboldo nur aus Obst und Gemüse wie bei dem Bildnis Vertumnus, das Rudolf II. darstellen soll, oder aus Büchern wie bei Der Bibliothekar. Den Reiz solcher Bilder macht ihr wundersames, obskures und übernatürliches Erscheinungsbild aus. Diese Kunst erfordert kompositorisches Geschick und bringt uns zugleich zum Staunen und Schmunzeln. Reales oder Bekanntes mischt sich mit Fantastischem, wenn nicht sogar zu Fantastischem.
„Von Arcimboldo bis Svankmajer: Surrealistische Inspirationen und Fantasiewelten“
Der Kreis schließt sich, sobald erwähnt wird, dass es im 20. Jahrhundert die Surrealisten waren, die Arcimboldo wiederentdeckten und in ihrem künstlerischen Schaffen von seinen doppeldeutigen Arbeiten inspiriert wurden. Wie zuvor bei Alice im Wunderland lädt auch Arcimboldo dazu ein in seine Gemälde abzutauchen und sich darin zu verlieren. Seine Kreationen könnten ebenso gut Figuren in der Fantasiewelt von Alice sein. Der Filmemacher Jan Svankmaier, der interessanter Weise 1988 ebenfalls einen Film namens Alice produzierte und 2011 in der Kunsthalle Wien in Das Kabinett des Jan Svankmaier einige Fantasiewesen ausstellte, die er aus den Überresten unterschiedlicher Tiere zusammengesetzt hatte, entwickelte auch einen Kurzfilm zu Arcimboldo. Auch er modernisierte das Werk des Manierismus Künstlers und lies in einer Stop-Motion Produktion Obst und Gemüse zu Köpfen transformieren, die sich bewegen und miteinander zu sprechen scheinen.
„Lowerisons Werk: Zwischen Tradition und Moderne des Wundersamen“
An dieser Stelle soll Lowerison aber weder als Surrealist abstempelt werden noch behauptet werden, er habe sich bewusst in die Fußstapfen von Arcimboldo begeben. Vielmehr deuten die vorangegangenen Ausführungen darauf hin, dass den Menschen seit jeher das Wundersame fasziniert. Sowohl in den Wunderkammern des 17. und 18. Jahrhunderts, in denen Obskuritäten und fantastische Gegenstände wie das Horn des Einhorns als seltene Rarität galten,[4] auf den Jahrmärkten des 19. Jahrhundert, auf denen Missgeburten und Fabelwesen wie der Wolpertinger öffentlich zur Schau gestellt wurden, oder auch in den makabren und irrationalen Bildern der Surrealisten, alle thematisieren und bewundern das Unnormale, nicht Erklärbare und in vielerlei Hinsicht Fantastische. Diese Konnotation findet sich auch bei Lowerisons Werken immer wieder.
„Lowerisons Kunst: Eine Einladung zum Entdecken und Träumen“
Man sollte nicht versuchen sie zu durchsteigen und restlos zu analysieren, sondern sich vielmehr darauf einlassen von ihnen in entfernte Welten entführt zu werden und sie das bleiben zu lassen was sie sind: Ein Konglomerat aus abstrakten und gegenständlichen Bildelementen, kleinteiligen Mustern, farbigen Flächen, eigenständigen Formen, aber auch einem weiteren Motiv, das sich auf zweiter Ebene aus diesen Formen ergibt. Der Charakter einer Traumlandschaft besticht durch die irrationale und spielerische Kombination aus Komposition und Motiv, die zum Schmunzeln einlädt und Sinneswahrnehmungen auf den Kopf stellt. Eine willkommene Abwechslung.
[1]Schulz, Christoph Benjamin: Alice im Wunderland, In: Wodianka, Sabine; Ebert, Juliane: Metzler Lexikon Moderner Mythen, 2014, Stuttgart, S. 12
[2]Schulz, Christoph Benjamin: Alice im Wunderland, In: Wodianka, Sabine; Ebert, Juliane: Metzler Lexikon Moderner Mythen, 2014, Stuttgart, S. 14
[3]Thiele, Carmela: Kaiserlicher Hof und Gemüse Maler, 2018, unter: https://www.deutschlandfunkkultur.de/vor-425-jahren-starb-giuseppe-arcimboldo-kaiserlicher-hof-100.html
[4]Mauriès, Patrick: Das Kuriositätenkabinett, 2011, Köln, S. 114
Vielen Dank an die zahlreichen Besucher zur Ausstellung der Vernunft
Sie finden weitere Informationen über die Vernunft hinaus auch bei Thomas Kellner