Karl Blossfeldt’s Lehrling

Karl Blossfeldt’s Lehrling

Karl Blossfeldt by Duigenan: Maidenhair Fern (Frauenhaarfarn),
Maidenhair Fern (Frauenhaarfarn), 2016, 41.9 x 29.7 cm, Zehn archivtaugliche Ultrachrom-Pigmenttinten (einschließlich 4 Schwarztinten) auf Hahnemuehle Archival Museum Etching 350gsm, AP1/3+2AP

Elaine Duigenan, britische Fotokünstlerin, stellt Karl Blossfeldts ikonische Fotografien von Pflanzen in Bindfäden nach. Diese Serie wurde von der Galerie Klompching [New York] auf der AIPAD [Association of International Photography Art Dealers] uraufgeführt und hat kontinuierlich Aufmerksamkeit erregt. Sie erhielt Gold beim Prix de la Photographie (Paris) und einen internationalen Fotografenpreis beim Pingyao International Festival of Photography, in China. Die Bilder zeigen handgefertigte Objekte aus Kabelbindern*. Sie versuchen, Pflanzenstrukturen nachzubilden, die auf ikonischen Fotografien des deutschen Künstlers Karl Blossfeldt (1920er Jahre) zu sehen sind. Karl Blossfeldt (1865-1932) war ein deutscher Kunstprofessor und wollte seine Studenten zur bewussten Aufmerksamkeit anregen. Er baute eine Kamera, die eine bis zu 30-fache Vergrößerung ermöglichte, und machte Hunderte von Fotos von Pflanzenformen. Er wollte damit demonstrieren, dass das beste Design bereits in der Natur vorgegeben war. Die Künstlerin beschäftigte sich mit seinen Bildern und wurde so, zu einer Schülerin von heute – sie drehte, band und bog das Material nach ihrem Willen. Sie sagt: „Meine unvollkommenen Exemplare verspotteten mich mit ihren Grenzen. Aber die Umarmung der Fehler wurde zum Sinn der Arbeit, und das Zeigen der Verbindungen und losen Fäden enthüllt die Spannung zwischen Perfektion und Unvollkommenheit“.

*Ein Kabelbinder ist ein Metalldraht, der mit einem dünnen Kunststoffstreifen ummantelt ist und zum Verschließen der Öffnungen von Tüten, wie z. B. Müll- oder Brottüten, verwendet wird.

Die Künstlerin hat international ausgestellt und ihre Werke befinden sich in Sammlungen wie dem V&A und dem Museum of Fine Art in Houston. Ihr Werk wird von der Klompching Gallery in New York vertreten. Ende 2009 wurde eines ihrer Bilder mit dem Shuttle Atlantis zur internationalen Raumstation geflogen. Elaine hat in den 90er Jahren dazu beigetragen, die Praxis des digitalen Scannens (Scanography) in den Vordergrund zu rücken, und ihre Arbeit ist beispielhaft in der V&A’s History of Photographic Processes zu sehen. Es ist eine wirklich einzigartige Methode, um solche Details und Tiefen zu erfassen. Die Objekte, mit denen Elaine arbeitet, sind gefunden oder hergestellt; die Dinge sind nie ganz das, was sie zu sein scheinen, und ihre Arbeit ist auf die Suche nach einzigartiger Schönheit reduziert. Blasse Exemplare leuchten in tiefschwarzen Räumen und scheinen an einem Faden zu hängen. Es gibt Stärke und Zerbrechlichkeit, Perfektion und Unvollkommenheit. Ihre Arbeiten reizen den Betrachter, da die Bilder irgendwo zwischen Skurrilität und Eleganz schweben.

Eröffnungsrede 14.11.2021, Elaine Duigenan, Blossfeldts Lehrling, Art Galerie Siegen

Platon beschreibt zwei Arten von Nachahmungen in der bildenden wie darstellenden Kunst. Die abbildende bzw. ebenbildnerische und die scheinbildende bzw. trugbildnerische Kunst. Die Künstlerin Elaine Duigenan scheint beide Aspekte in ihren Kunstwerken zu vereinen, denn sowohl Mimesis oder Imitation als auch Illusion finden sich in ihren Arbeiten wieder.
Die Künstlerin sagt selbst, dass es bei ihrer Kunst nicht darum geht, nur einen kurzen Blick auf die Bilder zu werfen. Vielmehr beinhaltet ihre Kunst ein Erlebnis, einen Erkenntnisgewinn, der nur mittels einer längeren Betrachtungszeit, einem Wissen um Technik und Methodik der Künstlerin und kunsthistorischer Sachkenntnis ermöglicht werden kann. Um also die Illusion einer Schwarz-Weiß-Fotografie mit organisch-geformten Motiven zu enttarnen, muss die Kunst von Elaine Duigenan in ihre Einzelteile zerlegt werden. Von der Ideenfindung und Inspirationsquelle bis zum künstlerischen Endprodukt, wie wir es hier vorfinden.
Beginnen wir mit der titelgebenden Person: Karl Bloßfeldt. Aus wissenschaftlichen Gründen und zu Lehrzwecken fertigte der an der Kunstgewerbeschule Berlin Lehrende zwischen 1898 und 1930 Nahaufnahmen von Pflanzen in noch nie dagewesener Vergrößerung an. Die Schwarz-weiß-Fotografien zeigen die erstaunliche Kleinteiligkeit und den Detailreichtum des Pflanzenaufbaus und der Pflanzenoberfläche. Sie stellen die Einzigartigkeit und Genialität der der Natur dar und sollen grundsätzlich ihre Formenvielfalt aufzeigen und als Inspiration für menschengemachte, künstlich erzeugte Objekte dienen. Seit Beginn haben die Fotografien von Bloßfeldt demnach einen Vorbildcharakter für das Arbeiten in der bildenden Kunst. Dieses Merkmal bleibt erhalten bzw. wird sogar verstärkt, als Bloßfeldts Aufnahmen im Zuge der künstlerischen Avantgarde und Neuen Sachlichkeit in der Fotografie selbst zur Kunst werden und seit 1926 öffentlich ausgestellt werden. Dass sich Elaine Duigenan diese Pflanzenmotive zum Vorbild nimmt und anhand der Aufnahmen ihre eigene Werkserie entwickelt, ist nicht außergewöhnlich und kein Einzelfall, bedenkt man die ursprüngliche Intention des Bloßfeldts. Vergleicht man die Kunstwerke beider Künstler ist die Ähnlichkeit unverkennbar. Die Werke scheinen beinahe 1 zu 1 identisch zu sein. Zumindest auf den ersten Blick besteht die Illusion einer Kopie, einer Nachahmung in jeglicher Hinsicht und ohne Veränderung seitens Duigenans. Dabei stellt sich die Frage, inwiefern die Werkserie von der Künstlerin ein Machwerk ihrer eigenen künstlerischen Fertigkeiten und Ideen sein kann?
Dafür widmen wir uns nun dem Schaffensprozess der hier zu sehenden Kunstwerke. Anstelle von vergrößernden Pflanzenfotografien, versucht sich die Künstlerin durch andere Materialien, Verarbeitungsverfahren und technischen Mittel Bloßfeldts Motiven zu nähern. Fast skulptural formt und biegt sie aus Kabelbindern organische Formen, die an eine dreidimensionale Umsetzung des floralen Motivs von Bloßfeldt erinnern. In einem weiteren Schritt kehrt auch Duigenan auf eine zweidimensionale Ebene zurück. Mit einem Flachbettscanner schafft sie es nicht nur das hergestellte Konstrukt in Bloßfeldts flächige Form zu überführen, sondern kann damit vor allem die Details und Zusammensetzungen des von ihr gewählten Materials sichtbar machen. Ebenso wie Bloßfeldt setzt sie auf die Visualisierung der Einzelbestandteile und Oberflächenstruktur. Ein solches Vorgehen findet sich im Oeuvre der Künstlerin immer wieder. Die Nahaufnahme, das Sichtbarmachen spielt in ihrer Kunst eine wesentliche Rolle, sodass unter anderem Scans von Nylonstrümpfen und Schneckenschleimspuren entstehen. Indem sie ihre eigenen Abzüge herstellt, kann Elaine Duigenan Töne, Schärfe und Textur kontrollieren und das durch den Scanner kontrastreiche Motiv bestmöglich an die gewählte Vorlage, Bloßfeldts Pflanzenfotografien, anpassen.
In ihrem Arbeitsprozess fließen somit verschiedene künstlerische Techniken zusammen. Gegenüber stehen sich ein plastisches Bildwerk und ein flacher Abzug, Drei- und Zweidimensionalität, Fingerfertigkeit und technische Instrumente, Nachahmung und Eigenleistung, Imitation und Illusion. Das Ziel der Künstlerin ist, mittels ihrer Kunstwerke, das ultimative schöpferische Genie der Natur herauszustellen und zeitgleich auf die Unvollkommenheit ihrer menschengemachten Nachahmung aufmerksam zu machen. Die Liste wird demnach um angestrebte Perfektion und umgesetzte Imperfektion ergänzt. Mehr noch als die Nachahmung der Natur zeigt sich in den Werken jedoch die Nachahmung einer künstlerischen Position, die sich mit der Wiedergabe, dem Abbilden eines Gegenstands beschäftigt. Den Aspekt der Nachahmung vollzieht die Künstlerin in ihren Arbeiten demnach gleich zweimal. Sie imitiert nicht nur die Pflanzenwelt, sondern auch Bloßfeldts Motive. Äußerlich scheinen sich die Kunstwerke demnach mehr als nur stark zu ähneln. Mit dem Hinweis auf das künstlerische Vorgehen und die verwendeten Materialien von Elaine Duigenanwird jedoch die Dialektik zwischen Erfindungsreichtum und Imitation deutlich, eine reproduzierende Tätigkeit basierend auf eigener künstlerischer Schaffens- und Wirkungskraft. Bloßfeldts Idee, dass die Natur und ihre Formenvielfalt Ausgangspunkt für jedes künstlerische Schaffen ist und das perfekte Lehrmaterial bildet, bewahrheitet sich in Duigenans Werkserie und Oeuvre. Am Ende steht die Frage, nehmen wir uns genügend Zeit diese Dialektik beim Betrachten aufzuschlüsseln, den Eigenanteil der Künstlerin zu erkennen und zu honorieren, oder lassen wir uns von der Illusion, die ihre Kunst auf den ersten Blick erzeugt, blenden. Sehen wir eine, wie von Platon beschrieben, abbildende bzw. ebenbildnerische oder eine scheinbildende bzw. trugbildnerische Kunst?
Chiara Manon Bohn

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